Redebeitrag von Urs Scheuss.
Herr Stadtratspräsident
Gemeinderätinnen und Gemeinderäte
Kolleginnen und Kollegen
Ich danke für die Stellungnahme des Gemeinderats zu den Fragen. Zwar bleiben die Fragen unbeantwortet. Dennoch bekommen wir einen Überblick, auch wenn er bei einigen Details bestritten werden kann.
Eine Nicht-Antwort ist auch eine Antwort. Trotz umfrangreicher Planungen und Abklärungen bleibt vieles ungewiss. Da teile ich die Ansicht des Gemeinderats voll und ganz. Einfach „Augen zu und durch“ ist das falsche Rezept.
Am 27. November, also in zehn Tagen, stimmen wir über die Initiative für den geordneten Ausstieg aus der Atomenergie ab. Ich verfolge natürlich die Debatte. Und immer wieder kommt mir dabei der A5-Westast in den Sinn.
Natürlich sind Atomkraftwerke um ein Vielfaches schlimmer. Aber einige der grundsätzlichen Probleme der AKW gibt es auch beim Westast.
Beides sind komplexe Bauwerke. Da stellt sich die Frage der Beherrschbarkeit. Zum Beispiel, wenn der Boden unter Verwendung von Ammoniak eingefrohren wird, um den Tunnel bauen zu können. Oder wenn man weiss, dass der Westasttunnel durch Grundwasser geführt wird. Die Techniker sagen: „Das geht schon!“. Bei den AKW sagen die Techniker das gleiche. Ich muss hier nicht die Beispiele aufzählen, bei denen sich die Techniker geirrt haben.
Eine Regel bei den AKW ist, je mehr man über über sie weiss, desto teurer werden sie. Bei den alten AKW braucht es teure Nachrüstungen, weil Mängel erst mit der Zeit erkannt werden. Beim Bau neuer AKW werden die inzwischen bekannten Risiken berücksichtigt, was dann zur Folge hat, dass jedes AKW teurer als das zuvor ist. Das neue AKW in Grossbritanien Hinkley Point C kann nur gebaut werden, weil die britische Regierung zugesagt hat, den Strom von dort zu subventionieren. Ich wage zu behaupten, dass all die Probleme, die beim Westast noch zu lösen sein werden, ebenfalls die Kosten in die Höhe schnellen lassen. Dabei ist A5-Westast, so wie er geplant ist, schon jetzt der teuerste Autobahnabschnitt der Schweiz.
Und dann ist da noch der Atommüll. Bis heute weiss niemand, wohin wir mit dem strahlenden Abfall sollen. Beim Westast stellt sich die Frage natürlich anders. Hier geht es darum, wie die verkehrlich flankierenden Massnahmen gesichert und umgesetzt werden, damit der Verkehr auch tatsächlich auf die Autobahn fliesst. Wie bei der Entsorgung des Atommülls ist die Lösung zwar auf Papier skizziert. Von der Umsetzung sind wir aber weit entfernt. Obwohl der Ostast bereits nächsten Sommer eröffnet wird, stecken die Pläne immer noch in den Schubladen und die Finanzierung ist nicht gesichert. Atomkraftwerke zu bauen, ohne zu wissen wohin mit dem Abfall ist verantwortungslos. Die Autobahnumfahrung in Biel zu bauen, ohne sicher zu stellen, dass die Stadt vom Verkehr entlastet wird, ist auch verantwortungslos.
Beim Atommüll ist auch noch etwas anders anders. Da stossen wir auch auf physikalische Grenzen. Bei den verkehrlich flankierenden Massnahmen haben wir es dagegen vor allem mit politischen Hindernissen zu tun.
Es könnte ja ein grosser verkehrspolitischer Kompromiss sein: Der Autolobby die Autobahn geben und dafür stimmt sie zu, die Stadt vom Autoverkehr zu entlasten. Eigentlich müsste die Autolobby ja eine Dauerkampagne für verkehrlich flankierende Massnahmen führen und deren rasche Realisierung einfordern. Das findet nicht statt! Diese Arbeit müssen wir Grünen machen. Ich danke an dieser Stelle meinem Kollegen Urs Känzig für sein Engagement in dieser Sache.
Diesen „grossen verkehrspolitischen Kompromiss“ gibt es nicht! Die Abstimmungen zum Bahnhofplatz und zum Neumarktplatz zeigen, dass es der Autolobby nicht um die Verkehrsberuhigung in der Stadt geht.
Wir müssen aufhören zu glauben, wir könnten mit FDP, TCS, ACS und SVP eine Verkehrspolitik machen, mit der wir die Lebensqualität in unserer Stadt verbessern. Die Bevölkerung hat dies bereits erkannt. Ein Drittel der Mitglieder des neu gewählten Stadtrats unterstützt bereits die Anliegen des Komitees „Westast so nicht!“ oder sind Mitglied des Komitees. Das Komitee zählt übrigens aktuell weit über 800 Mitglieder und wird laufend grösser.
Das Komitee „Westast so nicht!“ bietet uns einen neuen Kompromiss an. Zwar soll der Westast gebaut werden. Aber er soll so gebaut werden, dass die Lebensqualität so wenig wie möglich verschlechtert wird und Teile der Stadt so wenig wie möglich zerstört werden.
Was aber das wichtigste ist: dieser Kompromiss geht neu davon aus, dass der Autoverkehr nicht gottgegeben ist, dass wir ihn nicht wie einen Fluss immer neu leiten und einbetten müssen, sondern dass es auch andere Arten gibt sich fortzubewegen, sei es zu Fuss, mit dem Velo oder mit dem öV. Es wird auch beim Westast, wie ihn das Komitee vorschlägt, Autos in der Stadt geben. Aber weniger zu Lasten der anderen Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer.
Es geht darum, die Anteile der Verkehrsträger im Gesamtverkehr zu verändern: mehr Fussverkehr, mehr Menschen, die sicher mit dem Velo unterwegs sind und Busse, die nicht im Stau stecken bleiben. Das ist nichts anderes, als unser Reglement zur Förderung des Fuss- und Veloverkehrs sowie des öffentlichen Verkehrs verlangt.
Das ist die Verkehrspolitik des 21. Jahrhundert. In diese Richtung müssen wir gehen. Und dafür danke ich dem Komitee „Westast so nicht!“: Dass es uns mit ihrem grossen und hartnäckigen Engagement in diese Richtung führt.
Redebeitrag (pdf, en allemand)